ThermoTrack: Der mobile Energieberater im Koffer
Die Energiewende ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit – und sie beginnt direkt vor unserer Haustür, nämlich im eigenen Zuhause. Für Hausbesitzer und Unternehmen im Kreis Viersen rücken dabei Fragen zur Energieeffizienz immer stärker in den Fokus. Doch wie findet man verlässlich heraus, wo das eigene Gebäude Energie verliert und welche Sanierungsmaßnahme sich wirklich lohnt? Ein Projekt von Studierenden der Hochschule Niederrhein gibt darauf eine Antwort, die in einen Koffer passt: ThermoTrack.

Die Tücke der Theorie: Wenn Annahmen zu teuren Fehlern führen
Wer sich heute mit der Energieeffizienz eines Gebäudes befasst, stößt schnell auf den U-Wert, auch Wärmedurchgangskoeffizient genannt. Dieser beschreibt die Dämmqualität eines Bauteils. Auf dem Papier mag ein Gebäude exzellente Dämmwerte aufweisen. In der Realität sieht es jedoch oft anders aus.
Das Problem liegt in der Lücke zwischen Theorie und Praxis. Ein bedarfsorientierter Energieausweis konzentriert sich nur auf die baulichen Gegebenheiten und Normwerte. Er berücksichtigt jedoch oft nicht die realen Schwachstellen wie Wärmebrücken oder alternde Dichtungen an Fenstern sowie die tatsächlichen Nutzungsgewohnheiten der Bewohner. Ein verbrauchsorientierter Ausweis spiegelt zwar den realen Energieverbrauch wider, ist aber stark vom individuellen Heiz- und Lüftungsverhalten beeinflusst. Besonders wenn die Wohnung länger leer steht oder die Bewohner wechseln, weichen die Annahmen daher schnell ab.
Entscheidungen für Sanierungen, die auf solchen unvollständigen oder pauschalen Annahmen beruhen, können zu Fehlinvestitionen führen. Eine auf Basis einer falschen Heizlastberechnung dimensionierte neue Heizung arbeitet ineffizient. Teure Dämmmaßnahmen bringen möglicherweise nicht den erwarteten Effekt, weil die eigentliche Schwachstelle ganz woanders liegt. Genau hier setzt die technologische Innovation von ThermoTrack an.
ThermoTrack: Die datengestützte Antwort aus dem Koffer
Ein Team von Studierenden des Wirtschaftsingenieurwesens hat einen robusten Messtechnik-Koffer entwickelt. Dieser ermöglicht eine objektive Analyse der energetischen Performance eines Gebäudes unter realen Bedingungen. Anstatt sich auf Schätzungen zu verlassen, misst das System über einen längeren Zeitraum die tatsächlichen Werte.

Intelligente Technik für präzise Ergebnisse
Im Vergleich zu punktuellen Thermografie-Aufnahmen erfasst ThermoTrack das dynamische Verhalten des Gebäudes über die Zeit. Herzstück des Systems ist dabei ein Mini-Computer (Raspberry Pi 4) für die Verarbeitung der anfallenden Datenmengen. Die eigentliche Kunst liegt dabei in der intelligenten Erfassung und Auswertung der Daten:
- Smarte Sensoren: Die eigens entwickelten, batteriebetriebenen Sensormodule nutzen einen sogenannten „Deep-Sleep-Mode“, um über Wochen hinweg energieeffizient Daten zu sammeln und diese anschließend drahtlos an die Zentrale zusenden.
- Das System lernt mit. Anstatt von einer festen Heizgrenze auszugehen, ermittelt ThermoTrack anhand der Messdaten die tatsächliche Außentemperatur, ab der das Gebäude zu heizen beginnt. Dazu wird eine komplexe Regressionskurve aus den Heizintervallen und der Außentemperatur berechnet.
- Vollautomatisierte Auswertung: Die Daten fließen von den Sensoren über die Zentraleinheit in die Cloud. Von dort werden sie automatisiert in ein Excel-Dashboard geladen, das dem Nutzer die Ergebnisse grafisch aufbereitet präsentiert.
Die größte technische Herausforderung war die Schaffung eines vollständig automatisierten Systems, das ohne Vorkenntnisse bedienbar ist. Die Sensoren senden ihre Daten drahtlos an die Zentraleinheit im Koffer. Das Endergebnis für den Nutzer ist kein unübersichtlicher Datensatz, sondern ein interaktives Dashboard. Hier werden Kennzahlen wie die Energieeffizienzklasse, die mögliche Jahresarbeitszahl einer Wärmepumpe und die Leistung einzelner Heizkörper visuell ansprechend dargestellt.

Vom Prototyp zum professionellen Werkzeug
Die Professionalität des Projekts zeigt sich auch in der physischen Umsetzung. So wurde beispielsweise ein handelsüblicher Hilti-Koffer in sorgfältiger Handarbeit zu einem Hightech-Instrument umgebaut. Dazu wurden interne Trennwände entfernt, das Gehäuse lackiert und ein durchdachtes Kabelmanagement installiert. Alle zusätzlichen Halterungen und Gehäuse für die Elektronik wurden präzise am Computer designt und im 3D-Drucker gefertigt. Das Ergebnis ist kein fragiler Prototyp, sondern ein robustes Werkzeug, das für den Feldeinsatz bereit ist.

Potenzial für die Region und die Zukunft der Energieberatung
Das Projekt ThermoTrack, das bereits erfolgreich in einem realen Gebäude getestet wurde, ist weit mehr als eine beeindruckende Studienleistung. Es zeigt einen klaren Weg für die Zukunft der Energieberatung auf: weg von pauschalen Annahmen, hin zu präzisen, datengestützten Analysen. Für Hausbesitzer bedeutet dies mehr Sicherheit bei Investitionen, für Handwerksbetriebe und Energieberater im Kreis Viersen stellt es ein Werkzeug zur Optimierung ihrer Dienstleistungen dar.
Wie geht es weiter?
Das Projekt ThermoTrack zeigt eindrucksvoll, wie an der Hochschule Niederrhein praxisnahe Lösungen für reale Probleme entwickelt werden. Es ist ein perfektes Beispiel für angewandte Wissenschaft, das den Weg für eine transparentere und effizientere Energiezukunft in unseren Häusern ebnet.
Das Projekt ist abgeschlossen jedoch soll in der Zukunft dieser Ansatz weiterverfolgt werden, um die Gerätschaft zu einem fertigen Produkt auszuarbeiten.
Kontakt für dieses Projekt ist Prof. Dr.-Ing. Joachim Schettel von der Hochschule Niederrhein. Unternehmen, die an einer Weiterentwicklung, einer Kooperation oder ähnlichen Innovationsprojekten interessiert sind, können sich gerne an die Hochschule Niederrhein wenden. Auf der Website des Fachbereichs Wirtschaftsingenieurwesen finden Sie detaillierte Informationen über eine potenzielle Zusammenarbeit mit der Hochschule.
Weiterführende Einträge: Einblicke in unsere Projekte zur Energieeffizienz
Die Herausforderungen der Energiewende im Gebäudesektor sind vielschichtig. Unsere Projekte an der Hochschule Niederrhein beleuchten dieses Thema aus verschiedenen Blickwinkeln – von der grundlegenden Materialforschung im Labor bis hin zu ganzheitlichen Konzepten für reale Gebäude. Die folgenden Einträge geben Ihnen einen detaillierten Einblick in die einzelnen Projekte und zeigen, wie diese miteinander verknüpft sind.
- Dämmbox: Prüfstand für kostengünstige Dämmstofftests
Dieser Beitrag beschreibt die Entwicklung einer „Hot-Box“. Mit diesem Prüfstand kann der U-Wert von Dämmmaterialien unter kontrollierten Laborbedingungen präzise ermittelt werden. - uSens: U-Wert messung an der Hauswand
Was im Labor der Dämmbox beginnt, wird mit uSens in die Realität übertragen. Dieser Eintrag erklärt, wie das mobile Messgerät den tatsächlichen U-Wert einer bestehenden Wand direkt vor Ort misst – ohne diese zu beschädigen. Es schlägt damit die Brücke zwischen dem theoretischen Materialwert und der realen Performance der Gebäudehülle. - Studentenprojekt: Hitzeschutzkonzept für die Lebenshilfe Viersen
Dieses Projekt zeigt die Anwendung all dieser Prinzipien in einem konkreten Fall für die Lebenshilfe Kreis Viersen. Es wird beschrieben, wie mit einem Sensornetzwerk die Hitzeproblematik überwacht wird , wie eine Photovoltaikanlage zur Energieversorgung ausgelegt wird und wie über ein detailliertes Gebäudemodell der exakte Kältebedarf zur Klimatisierung ermittelt wird.